Grüne Bad Vilbel im Gespräch mit dem Frauen-Notruf Wetterau
Man mag den Eindruck haben, dass Gewalterfahrungen von Frauen in unserer Gesellschaft eine Randerscheinung sind. Doch bei der jüngsten Gesprächsveranstaltung der Grünen in Bad Vilbel wurde deutlich, dass dies leider ein weit verbreitetes Phänomen ist. Jana Peters, Vorsitzende der Bad Vilbeler Grünen, erläutert zu Beginn das Ausmaß des Problems: „Im vergangenen Jahr wurden 113 Frauen in Deutschland ermordet, nur weil sie eine Frau waren. In diesem Jahr sind es bereits 39 Frauen, die aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt zu Tode gekommen sind. Das sind erschütternde Zahlen. Deshalb ist es uns ein Anliegen, über diese Gefahr aufzuklären und Hilfe wie Prävention politisch zu unterstützen.“
Als Gäste begrüßte Jana Peters die Vilbeler Stadtverordnete und Kreistagsabgeordnete Myriam Gellner und Anne Hantschel vom Frauen-Notruf Wetterau e.V. Myriam Gellner berichtete über die Umsetzung der Istanbul Konvention im Wetteraukreis. Die zahlreichen Teilnehmerinnen und wenige Männer nutzten die Gesprächsrunde, um viele Fragen zu stellen und sich auszutauschen. So wurden z.B. Gewalterfahrungen im Alter thematisiert. Auch die Frage nach der Täterarbeit wurden aufgeworfen, um die es noch schlechter bestellt ist.
Gellner: mehr Aufmerksamkeit für geschlechtsspezifische Gewalt
Myriam Gellner unterstrich, dass Gewalt an Frauen leider weit verbreitet ist: „Jede vierte Frau wird Opfer häuslicher Gewalt, jede siebte Frau erfährt sexuelle Gewalt und jede zehnte Frau wird durch Stalking bedroht. Deshalb braucht dieses Thema in Gesellschaft und Politik mehr Aufmerksamkeit, damit geschlechtsspezifische Gewalt möglichst überwunden wird.“ Von den Auswirkungen geschlechtsspezifischer Gewalt sind nicht nur Frauen und deren Kinder betroffen. Die Folgekosten dieser Gewalt summiert sich in Deutschland jährlich auf 54 Mrd. Euro und belastet somit die ganze Gesellschaft.
Seit Februar 2018 ist die Istanbul-Konvention in Deutschland in Kraft. Sie verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt effektiv zu bekämpfen und ihr vorzubeugen. Betroffene von geschlechtsbezogener Gewalt sollen umfassende Unterstützung und auch Entschädigung erfahren. Myriam Gellner berichtete weiter, dass 2020 der Kreistag beschlossen hat, die Umsetzung der Istanbul Konvention aktiv anzugehen. Dafür hat der Kreistag in diesem Jahr als zusätzliche Maßnahmen beschlossen, je eine halbe Stelle bei Frauen helfen Frauen Wetterau e.V. und dem Frauen-Notruf Wetterau e.V. zu finanzieren. Außerdem wurden 28.000 Euro für die Präventionsarbeit an Schulen bereitgestellt, die der Frauen-Notruf mit pro familia Friedberg e.V. durchführen. Und es wurden 25.000 Euro für die medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung bereitgestellt, die bisher nur aus Spenden finanziert wurde. Myriam Gellner machte aber auch deutlich: „Neben unseren Anträgen und der der Koalition zur Unterstützung der Frauen, hat die AfD beantragt, alle Mittel zur Unterstützung der Frauen zu streichen. Es gilt deshalb, entschlossen die Frauenrechte gegen rückwärtsgewandte Kräfte zu verteidigen.“
Hantschel: Personalbedarf um ein vielfaches höher
Anne Hantschel, die u.a. für die Öffentlichkeitsarbeit des Frauen-Notrufs Wetterau e.V. arbeitet, knüpfte an die Ausführungen von Myriam Gellner an. Sie berichtete, dass beim Frauen-Notruf Wetterau e.V. sechs Frauen beschäftigt sind, die alle in Teilzeit arbeiten. Dabei sind die Aufgabenfelder sehr umfangreich von Beratung, Prävention, Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit bis zu Verwaltungstätigkeiten. Hinzu kommt die Größe des Wetteraukreises mit über 300.000 Menschen und großen Entfernungen, sodass in Anlehnung an die Istanbul-Konvention der tatsächliche Personalbedarf um ein Vielfaches höher liegt. Doch dafür fehlen die Finanzen, stellt Anne Hantschel nüchtern fest.
Zu den aufgestockten Hilfen berichtet sie: „Im letzten Jahr wurde 19-mal das medizinische Soforthilfepaket im Hochwaldkrankenhaus in Bad Nauheim in Anspruch genommen. Dieses Angebot steht allen Frauen und auch Männern nach erfahrenen oder vermuteten Vergewaltigungen im Hochwaldkrankenhaus zur Verfügung. Der größte Teil der Fälle kam direkt von der Polizei in das Hochwaldkrankenhaus. Doch es ist auch möglich, direkt diese medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um neben der medizinischen Versorgung möglichst schnell Spuren zu sichern. Kommen die Frauen direkt ins Krankenhaus, wird die Polizei nur auf ausdrücklichen Wunsch informiert. Die Spuren werden für den Fall einer späteren Strafanzeige für ein Jahr anonymisiert aufbewahrt.“
28.000 Euro des Wetteraukreises für Präventionsarbeit
Doch neben der Hilfe für die Opfer, ist auch die Präventionsarbeit unverzichtbar, um Gewalt möglichst vorzubeugen. Frau Hantschel betonte: „Wir freuen uns sehr, dass der Wetteraukreis die Präventionsarbeit mit 28.000 Euro unterstützt. Damit lassen sich im Projekt ´Gute Partnerschaft von Anfang an` rund zehn Workshops an Schulen umsetzen. Das ist ein Anfang, aber um entscheidende Veränderungen zu erreichen braucht es flächendeckende Angebote in allen Jahrgängen. Denn Aufklärung ist gerade unter jungen Menschen eine sehr wichtige Arbeit. Oftmals werden Frauen bereits in den ersten Beziehungen von ihren Partnern aufgrund falscher Vorstellungen unter Druck gesetzt.“